5 Fehlentwicklungen bei der Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitswesens (ÖGD)

Executive Summary

Ziele des „Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ vom 29.09.2020 sind die personelle Aufstockung, Modernisierung und Vernetzung der Gesundheitsämter in Deutschland. Dafür stellt der Bund 4 Milliarden Euro zur Verfügung.

[ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/o/oeffentlicher-gesundheitsheitsdienst-pakt.html ]

Zur Digitalisierung des ÖGD wird insbesondere von Seiten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) in Zeiten der Corona-Pandemie mit einer Reihe von falschen Behauptungen gearbeitet, die hiermit zurückgewiesen werden:

  1. Zu Beginn der Pandemie waren die Gesundheitsämter nicht digitalisiert – falsch! 85% der Gesundheitsämter waren bereits vor Corona mit einem Komplettsystem ausgestattet
  2. SORMAS wäre die Lösung für die Digitalisierung der Gesundheitsämter – falsch! SORMAS ist Kontaktnachverfolgungs- und Quarantäne-Managementsoftware. Damit werden die Gesundheitsämter auf das Thema Infektionsschutz reduziert. Die Gesundheitsämter haben mehr als ein Dutzend verschiedene Aufgaben; Infektionsschutz ist nur eines der Themen.
  3. Für das Thema Kontaktnachverfolgung wird mit Steuergeldern nicht nur SORMAS gefördert, sondern die gleiche Funktion wird mit Steuergeldern in die Gesundheitsamtssoftware SurvNet eingebaut, die den Gesundheitsämtern vom RKI bereitgestellt wird. Das ist nicht nur Steuergeldverschwendung sondern entspricht auch nicht der Zielsetzung von SurvNet! Das RKI hat die gesetzliche Aufgabe sich um die zentralen Systeme für die Vernetzung der Gesundheitsämter kümmern, die seit Jahren vernachlässigt werden.
  4. Für die zentrale Vernetzung der Gesundheitsämter sollte nach dem Infektionsschutzgesetz bis Ende 2020 vom RKI das System DEMIS bereitgestellt werden. Die Arbeiten haben 2014 begonnen, 2017 wurde verkündet, dass DEMIS in Kürze einsatzbereit sei, Anfang 2020 zu Beginn der Pandemie stand von DEMIS nichts zur Verfügung.
  5. Durch die Einführung von DEMIS sind die Papierstapel, die die Faxe an die Gesundheitsämter hervorgerufen haben, verschwunden – falsch! DEMIS hat nur die Übermittlung der Labormeldungen an die Gesundheitsämter digitalisiert. Diese Strecke war aber bereits bei vielen Gesundheitsämtern digitalisiert. 95% der Faxe in den Gesundheitsämtern wurden durch die Verdachtsmeldungen aus den Testzentren hervorgerufen, die auch heute noch nicht über DEMIS übertragen werden können.

Deshalb erhebt der DATABUND folgende Forderungen:

  • Wenn der Staat mit Steuergeldern Digitalisierung fördern will, so muss das ergänzend zu bestehenden Lösungen erfolgen. Insbesondere muss er für zentrale übergreifende Systeme als Telematik-Komponenten sorgen und offene Standards und Schnittstellen vorgeben.
  • Die eigentliche Digitalisierung – nicht nur des ÖGD – bedarf einer Reihe von Innovationen. Innovationen entstehen aber nur im Wettbewerb, weshalb monopolistische Systeme für digitalen Stillstand sorgen und abzulehnen sind.
  • Digitalisierung muss umfassend erfolgen und darf sich nicht auf einen Teilaspekt eines Amtes fokussieren. Es bedarf integrierter Fachverfahrenssoftware, damit keine Medienbrüche, Doppelerfassung und Inkonsistenzen zwischen den einzelnen Aufgaben und Systemen des Amtes entstehen.
  • Die Software-Industrie der Fachverfahrenshersteller und deren Anwender in den Gesundheitsämtern haben in den letzten 20 Jahren ein großes Know-how um die optimale digitale Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben aufgebaut. Dieses Know-how muss genutzt werden, damit die Ämter nicht wieder ins Tal der Tränen der zu den Arbeitsabläufen inkompatiblen Software geschickt werden, wie wir es bei SORMAS erlebt haben.

Die Begründungen zu den einzelnen Punkten im Detail:

1. Zu Beginn der Pandemie waren die Gesundheitsämter nicht digitalisiert – falsch! 85% der Gesundheitsämter waren bereits vor Corona mit einem Komplettsystem ausgestattet

Eine präzise Auskunft zum digitalen Ausstattungsgrad der Gesundheitsämter in Deutschland, vor und zu Beginn der Pandemie, wurde von den kommunalen Spitzenverbänden in einer Publikation der DLT-Schriftenreihe „Digitalisierung und Gesundheit – Handreichung zur Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung“veröffentlicht.

In der Handreichung finden Sie eine aussagekräftige Umfrage, statistisch valide und repräsentativ zu

– digitalen Ausstattungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes

– organisatorische Rahmenbedingungen, Landkreis und kreisfreie Stadt in der Verantwortung bei den IT-Ausstattungskonzepten

– Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz – genutzte Fachverfahren und Anwendungen

– Details zu den Schnittstellen wie DEMIS und dem Datenaustausch mit den Laboren

– zu den vorhandenen Fachverfahren/Anwendungen zum Kontaktpersonenmanagement nach IfSG

– zur Einbindung in Datenaustausch-Infrastrukturen

[ https://www.landkreistag.de/publikationen/3107-digitalisierung-und-gesundheit-handreichung ]

 

2. SORMAS wäre die Lösung für die Digitalisierung der Gesundheitsämter – falsch! SORMAS ist Kontaktnachverfolgungs- und Quarantäne-Managementsoftware. Damit werden die Gesundheitsämter auf das Thema Infektionsschutz reduziert. Die Gesundheitsämter haben mehr als ein Dutzend verschiedene Aufgaben; Infektionsschutz ist nur eines der Themen.

Die Aufgaben der Gesundheitsämter variieren von Bundesland zu Bundesland, da einige Bundesländer einzelne Funktionen den Veterinär- oder Umweltämtern zugeschlagen haben.

Der Katalog der Aufgaben umfasst ansonsten (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Medizinal Aufsicht, Amtsärztlicher Dienst und Gutachten, Leichenschauscheine, Trinkwasser- und Badewasserkontrolle, Kommunalhygiene, Heilpraktiker Zulassung und –Prüfung, Aufsicht über Apothekenwesen, Arzneimittel und Gefahrstoffe, Infektionsschutz, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst mit Einschulungsuntersuchungen, Schulärztliches Gutachtendienst, Schulpsychologischer Dienst, Hilfe für Kinder und Jugendliche, Zahnärztlicher Dienst, Sozialpsychiatrischen Dienst, die Schwangeren-beratung, sowie die Behindertenbetreuung. Zwischen den einzelnen Funktionsteilen des Gesundheitsamtes müssen dabei Daten ausgetauscht werden, so dass ein funktionierendes Gesundheitsamt nur mit einer voll integrierten Fachsoftware effizient seinen Aufgaben nachgehen kann.

 

3. Für das Thema Kontaktnachverfolgung wird mit Steuergeldern nicht nur SORMAS gefördert, sondern die gleiche Funktion wird mit Steuergeldern in die Gesundheitsamtssoftware SurvNet eingebaut, die den Gesundheitsämtern vom RKI bereitgestellt wird. Das ist nicht nur Steuergeldverschwendung sondern entspricht auch nicht der Zielsetzung von SurvNet! Das RKI hat die gesetzliche Aufgabe sich um die zentralen Systeme für die Vernetzung der Gesundheitsämter kümmern, die seit Jahren vernachlässigt werden.

Das BMG entwickelt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Deutschland die Softwarelösung SORMAS als integrierte und vernetzte Lösung zum Kontaktpersonenmanagement für COVID-19. SORMAS wird den Gesundheitsämtern kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Entwicklung von SORMAS erfolgt im Rahmen des Paktes für den Öffentlichen Gesundheitsdienst, für die mehrere Millionen Euro jährlich zur Verfügung gestellt werden.

[ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/o/oeffentlicher-gesundheitsheitsdienst-pakt/digitale-unterstuetzung-gesundheitsaemter.html ]

Gleichzeitig wurde die bereits etablierte Softwarelösung SurvNet vom RKI, die auch den Gesundheitsämtern kostenlos zur Verfügung steht, um das Kontaktpersonenmanagement für COVID-19 erweitert. SurvNet beinhaltet nicht nur die Funktionalität die SORMAS in Teilen zur Verfügung stellt, sondern darüber hinaus auch sämtliche Anforderungen zur Erfassung, Auswertung und Weiterleitung der Meldedaten gemäß IfSG.

[ https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/IfSG/Software/software_inhalt.html ] [ https://survnet.rki.de/Content/Service/Documentations.aspx ]

 

4. Für die zentrale Vernetzung der Gesundheitsämter sollte nach dem Infektionsschutzgesetz bis Ende 2020 vom RKI das System DEMIS bereitgestellt werden. Die Arbeiten haben 2014 begonnen, 2017 wurde verkündet, dass DEMIS in Kürze einsatzbereit sei, Anfang 2020 zu Beginn der Pandemie stand von DEMIS nichts zur Verfügung.

Nachdem dem RKI mit dem neuen Infektionsschutzgesetz (IfSG) als Nachfolger des Bundesseuchengesetzes die Aufgabe zugefallen war, ein zentrales Meldesystem für die Überwachung übertragbarer Krankheiten bereit zu stellen, präsentierte es 2014 die Architektur des DEMIS-Systems (s. https://edoc.rki.de/handle/176904/2007). Im Juli 2017 wurde der gesetzliche Auftrag ans RKI durch eine Neufassung des §14 IfSG präzisiert. Zu Beginn der Pandemie in 2020 war DEMIS in keiner Weise betriebsbereit. Im Juni 2020 wurden die Gesundheitsämter vom RKI informiert, dass DEMIS jetzt mit der ersten Funktionalität, nämlich der Übertragung der positiven Tests auf Covid-19 von den Laboren an die Gesundheitsämter seinen Betrieb aufnehmen wird. In der aktuellen Fassung des §14 IfSG Absatz 8 heißt es: „Ab dem 1. Januar 2021 haben die zuständigen Behörden der Länder das elektronische Melde- und Informationssystem zu nutzen.“ Dieses Satz steht dort ohne Einschränkungen zu Krankheiten oder Arten der Meldungen. Dafür hätte DEMIS also zum 31.12.2020 komplett zur Verfügung stehen müssen, also für alle Krankheiten gemäß §6 IfSG von Botulismus bis zoonotische Influenza und sowohl für Verdachts- als auch für Labormeldungen. Bis heute ist die Funktionalität von DEMIS auf die Labormeldungen zu Covid-19 beschränkt.

 

5. Durch die Einführung von DEMIS sind die Papierstapel, die die Faxe an die Gesundheitsämter hervorgerufen haben, verschwunden – falsch! DEMIS hat nur die Übermittlung der Labormeldungen an die Gesundheitsämter digitalisiert. Diese Strecke war aber bereits bei vielen Gesundheitsämtern digitalisiert. 95% der Faxe in den Gesundheitsämtern wurden durch die Verdachtsmeldungen aus den Testzentren hervorgerufen, die auch heute noch nicht über DEMIS übertragen werden können.

Die Covid-Meldungen an die Gesundheitsämter bestanden am Anfang der Pandemie einerseits nach §6 IfSG aus den Meldebögen der Ärzte und der Testcenter, die die Abstriche bei den Patienten vornahmen, und andererseits aus den Labormeldungen an die Gesundheitsämter. Die Meldebögen waren dabei mehrseitig, während die Labormeldungen einseitig sind. Da nach §6 IfSG bereits bei Verdacht auf Covid-19 gemeldet werden muss/musste, während das Labor ans Gesundheitsamt nur dann meldet, wenn die Probe positiv ausfällt und die Quote der positiven Tests kleiner als 10% war, führte das dazu, dass 95% der Papierstapel, die die Gesundheitsämter aus den Faxgeräten fluteten, Meldebögen nach §6 IfSG waren. Mit dem DEMIS-System wurde aber nur der 5%-Anteil der Labormeldungen digitalisiert. Die Meldebögen für die Tests sind verschwunden, da die Definition, wann der Verdachtsfall vorliegt, geändert wurde. Wenn also ein Bürger ins Testcenter geht, weil er meint Symptome zu haben und deshalb fürchtet sich mit Covid infiziert zu haben, wird heute vom Testcenter kein Meldebogen geschickt.

Das DEMIS-System hat dabei aber nicht nur den kleinsten Teil der Fax-Kommunikation in Angriff genommen, sondern auch noch den Teil, der vielfach schon digitalisiert war. Für die digitale Kommunikation gibt es schon seit Jahrzenten einen Datenstandard namens LDT2. Diese Familie von Standards enthält auch ein Format für die Kommunikation der Labore mit den Gesundheitsämtern. Verschiedene Großlabore hatten dazu auch schon automatische Übertragungen an die Gesundheitsämter realisiert, z. B. durch die Software iLab-Client (s. https://www.itech-gmbh.de/#labor) oder durch eine VPN-Schaltung zu den Gesundheitsämtern, so dass diese sich die LDT2-Dateien runterladen konnten. Diese Technologien funktionieren übrigens für alle Infektionskrankheiten nach IfSG, während DEMIS heute nur Covid-19-Labormeldungen übertragen kann.

Der deutsche Mittelstand ist die treibende Kraft bei Innovationen, Fortschritt und Technologie. Als Wirtschafts- und Beschäftigungsmotor ist er zudem in der deutschen Wirtschaft von großer Bedeutung. Aus diesem Grund soll der gewerbliche Mittelstand durch entsprechende Förderung und attraktive Rahmenbedingungen gestärkt werden, der für die Digitalisierung des ÖGD eine Schlüsselrolle einnimmt.

[ https://www.bvmw.de/themen/mittelstand/zahlen-fakten/ ] [ https://www.stmwi.bayern.de/service/foerderprogramme/mittelstandsfoerderung/ ] [ https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20129/mittelstand ] [ https://www.handelskammer-bremen.de/beraten-informieren2/foerderung/mittelstandfoerderung-index-1305934 ] [ https://www.vergabe24.de/blog/mittelstand-foerderung-nicht-bevorzugung/ ] [ https://www.hk24.de/produktmarken/interessenvertretung/wirtschaft-politik/mittelstandspolitik/mittelstand-definitionen-1145582 ]

DATABUND e. V. und die AG Gesundheitswesen

Der DATABUND e.V. ist der Bundesverband der Softwarehersteller und IT-Dienstleister für den öffentlichen Sektor. Über 60 Verbands-Mitglieder sorgen mit ihren Softwarelösungen und IT-Dienstleistungen dafür, dass über 11.000 Gemeinden und über 400 Landkreise und kreisfreie Städte digital ihre Verwaltungsprozesse bearbeiten können. Fast alle Wesen und Verfahren sind im DATABUND über ihre entsprechenden Hersteller vertreten. Der DATABUND engagiert sich im Bereich der Standardisierung, Wettbewerb und Digitalisierung genauso wie in der Vertretung der Mitgliederinteressen gegenüber Ministerien und Politik.

Die Arbeitsgruppe Gesundheitswesen im DATABUND repräsentiert alle wesentlichen Softwarehersteller für die deutschen Gesundheitsämter.

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